Der Auftrag Politischer Bildung in einer populistischen und rechtsextremen Gemengelage
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Jugendliche und junge Erwachsene erleben, wie in unserer Gesellschaft rechtspopulistische, menschen- und demokratiefeindliche Positionen immer stärker Einzug halten. Möglich wird dies, weil große Teile der Bevölkerung angesichts der Kriege, Terrorgefahr, Klimawandel und ihrer Folgen zunehmend verunsichert sind und Rechtspopulist*innen hier einfache Lösungen anbieten. In den (Sozialen) Medien lancieren nicht mehr „nur“ sog. besorgte Bürger*innen, sondern inzwischen auch politische Verantwortungsträger schamlos Bedrohungsszenarien, spielen mit Feindbildern oder stellen einzelne Bevölkerungsgruppen unter Generalverdacht. Demokratie und ihre Institutionen geraten zunehmend unter Druck.
Wie kann man dieser Herausforderung angemessen reagieren? Welche Handlungsmöglichkeiten hat Politische Bildung, um dieser Entwicklung entgegenzuwirken?
Rechtspopulistische Agitationen schöpfen aus einem breiten Repertoire an Themen und treten in unterschiedlicher Form in Erscheinung: Im Alltag fallen Äußerungen, die andere Menschen abwerten, häufig ganz nebenbei. Gleichzeitig treten Rechtspopulist*innen nicht mehr nur als offen rechtsextreme Gruppen auf, sondern organisieren sich in unterschiedlichen Formaten[1], die so für vielfältige Bevölkerungsgruppen Zugang bieten. Demgegenüber stehen sehr heterogene Gründe, die dazu führen können, dass junge Menschen rechtspopulistischen Versuchungen erliegen können. Vor diesem Hintergrund müssen pädagogische Maßnahmen an unterschiedlichen Punkten ansetzen und diese in einem ganzheitlichen Konzept verbinden. Notwendig sind sowohl kurzfristige, als auch langfristige und präventive Schritte.
Haltung zeigen!
Menschenfeindliche Einstellungen manifestieren sich zu aktiver Diskriminierung, Abwertung oder sogar Gewalt, wenn sie durch Verantwortungsträger*innen öffentliche Legitimation erfahren und damit gesellschaftsfähig werden.[2] Als zeitnahe Intervention ist es deshalb wichtig, dass alle Akteur*innen der Jugendbildung entschlossen Alltagsrassismus und rechtspopulistischen Äußerungen entgegentreten. Ein Beispiel kann dafür der Beschluss des 148. Hauptausschuss des Bayerischen Jugendrings sein.[3] Auf zwischenmenschlicher Ebene können z.B. Argumentationstrainings gegen rechte Parolen Sicherheit darin geben, sich entsprechenden Äußerungen entgegenzustellen. Sicherlich ist auch die Vermittlung von Faktenwissen einerseits über Religionen und Minderheiten, andererseits über rechtspopulistische Strömungen und deren Strategien an dieser Stelle notwendig. Da (soziale) Medien eine nicht unwesentliche Rolle im Kontext von Rechtspopulismus spielen, sollte Politische Bildung einen kritischen Umgang und Reflektion fördern und diesbezügliche Angebote und das Know-How von Medienfachberatungen in Anspruch nehmen.
Langfristig sollte Politische Bildung jedoch nicht in der Wissensvermittlung verharren, sondern direkt bei ihrer Zielgruppe – den Jugendlichen und jungen Erwachsenen – ansetzen. Allein mit rationalen Argumenten und öffentlichen Verlautbarungen dürfte der Wirkungsmacht des Rechtspopulismus, der eher auf Ängste und unbefriedigte Bedürfnisse nach Sicherheit und Anerkennung abhebt, schwer zu begegnen sein.
Selbstbestimmungsfähigkeit[4]
Junge Menschen müssen in Schule, Ausbildung und beim Einstieg ins Berufsleben immer stärker funktionieren und sehen sich zunehmend einem Selbstoptimierungszwang ausgesetzt. Dabei bleibt immer weniger Raum, die eigenen und persönlichen Lebensbeziehungen und Sinndeutungen im zwischenmenschlichen, beruflichen, ethischen und religiösen Bereich wahrzunehmen und sich ihrer bewusst zu werden. Politische Bildung muss hier ansetzen und einen Rahmen schaffen, in dem Jugendliche eine Auseinandersetzung mit ihren eigenen Bedürfnissen, Wünschen und Zielen möglich wird. Als Bezugshorizont sollten Menschenrechte und die Gleichwertigkeit aller Menschen gelten. So können Jugendliche angstfrei eine eigene Meinung entwickeln und auch kontroverse Positionen haben Raum und werden ernstgenommen. Ernst nehmen heißt auch, junge Menschen in ihrer Bedürftigkeit und dem Kampf um Anerkennung achtsam zu begegnen und ihr Selbstwertgefühl zu stärken. Denn je stärker das Selbstwertgefühl eines Einzelnen, umso geringer ist die Anfälligkeit für Positionen, die andere Menschen abwerten oder ablehnen. In diesem Sinne ist z.B. auch die Arbeit in Jugendbildungsstätten oder Jugendverbänden, die nicht primär politische Inhalte als Thema haben müssen, ein wichtiger Beitrag zu politischer Bildung.
Mitbestimmungsfähigkeit
Politische Bildung soll dazu befähigen, an gesellschaftlich-politischen Verhältnissen zu partizipieren und verantwortlich damit umzugehen. Um sich einmischen zu können, steht zunächst das Einüben und Erleben demokratischer Strukturen und Organe, wie dies zum Beispiel bei den Bildungsbausteinen „Bezirk Schwaben erleben!“ und „Kommune erleben“ des Bezirksjugendrings Schwaben möglich ist. Hierzu zählen auch in der Jugendarbeit gängige erlebnispädagogische Methoden, die spielerisch gewaltfreie Lösungskompetenz und Kommunikationsfähigkeit fördern. Politische Bildung darf jedoch nicht bei diesen modellhaften Elementen verbleiben, sondern muss die tatsächliche Beteiligung junger Menschen auf allen Ebenen unter besonderer Berücksichtigung von Schwächeren unterstützen und einfordern. Hierzu eignen sich in einem größeren Kontext bereits weitreichend erprobte Formate, wie Jugendparlamente oder Jugendversammlungen, bei denen es aber um mehr gehen muss, als um die Entscheidung über das Mobiliar in den Jugendräumen. Zur Erfahrung von Selbstwirksamkeit eignen sich auch in informellerem Rahmen Methoden wie Open Space. Zudem bieten neuere Organisationsformen wie Soziokratie oder Theater der Unterdrückten vielseitige Möglichkeiten, jungen Menschen (auch in kreativer Form) eine Stimme zu geben.
Solidaritätsfähigkeit
Insbesondere Akteur*innen Politischer Bildung sollten den Anspruch haben, neben der Selbst- und Mitbestimmung auch die Solidaritätsfähigkeit von jungen Menschen zu entwickeln, d.h. für die Rechte jener einzutreten, welche über diese Rechte nicht verfügen. Konkret bedeutet dies, sich in seinem Jugendverband nicht unter Gleichgesinnten zu verschließen.[5] Es bedeutet aber auch nicht im nationalen Rechtspopulismus-Diskurs zu verharren und dabei alle anderen Themen auszublenden, die junge Menschen beschäftigen. Vielmehr muss es darum gehen, dieses Thema in Kontext der Frage nach unseren Zukunftsvorstellungen für unsere Welt und dem Umgang untereinander zu setzen.
Politische Bildung hat also vielfältige Handlungsmöglichkeiten, um den Vormarsch von Rechtspopulismus einzudämmen. Sicherlich beinhaltet die präzise Berücksichtigung aller hier aufgeführter Schritte und Maßnahmen die Gefahr moralischer und alltagspraktischer Überforderung – zumal sich viele in der Politischen Bildung tätigen Menschen „nur“ ehrenamtlich dafür engagieren. Haltung zu zeigen und Haltung zu vermitteln ist nicht immer einfach. Für Politische Bildung gilt hier das Gleiche wie für die Zivilcourage in der Straßenbahn: Wenn immer mehr Menschen immer wieder versuchen, rechtsextremen und menschenverachtenden Äußerungen und Verhaltensweisen entgegenzutreten, dann werden immer weniger junge Menschen den Versuchungen des Rechtspopulismus erliegen. Das Plädoyer lautet also: Mehr Haltung zeigen für eine offene Gesellschaft!
[1] Als Demonstration bei Pegida, als Partei bei der AFD oder als studentische Bewegung mit intellektuellem Anstrich bei den Identitären.
[2] Vgl. http://www.bpb.de/politik/extremismus/rechtsextremismus/214192/gruppenbezogene-menschenfeindlichkeit
[3] , der sich klar positioniert und die bayerischen Politikerinnen und Politiker dazu aufgefordert hat, „in der politischen Debatte und gesellschaftlichen Diskussion allen Formen von Rassismus, Nationalismus und Rechtspopulismus entschieden entgegen zu treten, sich auf die verfassungsmäßigen Grundrechte zu besinnen, sich für Demokratie und die freiheitlich demokratische Grundordnung stark zu machen und damit für Integration und Menschenfreundlichkeit einzustehen.“ https://www.bjr.de/service/beschluesse/details/positionierung-fuer-integration-und-menschenfreundlichkeit-51.html
[4] Die hier verwendeten Kategorien von Selbst-/Mitbestimmungs- und Solidaritätsfähigkeit orientieren sich an Wolfgang Klafkis Bildungsansatz einer kritisch-konstruktiven Didaktik. (vgl. Klafki, Wolfgang; Kritisch-konstruktive Pädagogik. Herkunft und Zukunft. In: Jürgen Eierdanz, Armin Kremer (Hrsg.): Weder erwartet noch gewollt – Kritische Erziehungswissenschaft und Pädagogik in der Bundesrepublik Deutschland zur Zeit des kalten Krieges. Baltmannsweiler 2000, S. 152–178.)
[5] vgl. Sturzenhecker, Demokratie ist inklusiv, juna 2016